Yesterdays news
Von jali
Normalerweise ist es kein Grund zur Freude, wenn eine Zeitung ihren Betrieb einstellt. Besonders dann, wenn der Grund nicht wirtschaftlicher Natur ist. Wie gesagt, normalerweise. Am vergangenen Donnerstag gab der Vorsitzende des Verlages News International, Rupert Murdoch, in einer Stellungnahme bekannt, dass am kommenden Sonntag, den 10. Juli 2011, die letzte Ausgabe der Zeitung News of the World erscheinen wird.
Die News of the World erschien erstmals 1843 als Sonntagszeitung im Daily Mirror.
1969 wurde die Zeitung vom australischen Medienmogul Rupert Murdoch aufgekauft, der schon zahlreiche ähnliche Blätter besaß. In der Murdoch-Ära konzentrierte die Zeitung sich noch mehr auf Prominenten-Klatsch Geschichten, und brachte einige Karrieren zu Fall. Ihrem Ruf, selbst im Boulevard-Journalismus, in dem es traditionell, vor allem in Großbritannien, besonders ruppig zugeht, zu den Rücksichtslosesten zu gehören wurde die Zeitung immer wieder gerecht. So unternahm das englische Model Caroline Cossey 1981 einen Selbstmordversuch, nach dem die Zeitung ausführlich über ihre Transsexualität berichtet hatte.
Auch britische Königshaus war immer wieder ein beliebtes Ziel der Zeitung. Ausführliche Berichte über den Alkoholkonsum des damals minderjährigen Thronfolgers Prinz Harry fanden weltweite Resonanz, und brüskierten das Königshaus.
Im Jahre 2008 veröffentlichte die News of the World ein Video, das den damaligen Formel-1 Chef Max Mosley bei sadomasochistischen Sex-Spielen mit zwei Prostituierten zeigte, und behauptete es handele sich um “Sex-Spiele im Nazi-Kostüm”. Ein Gericht sprach Mosley später £60.000 Schmerzensgeld zu, und verurteilte die Zeitung zu einer empfindlichen Strafe.
Einen ersten Höhepunkt erreichte die Kontroverse um die Zeitung im Jahr 2000, als die News of the World nach dem Mord an der neunjährigen Sarah Payne eine Kampagne startete, um ein Gesetz zu erzwingen, dass den Bürgern -nach Vorbild der USA- Einblick in das Sex Offenders Register erlaubt, damit diese sehen können, ob in ihrer Umgebung ein vorbestrafter Sexualstraftäter lebt. Das Blatt veröffentlichte dabei Fotos mit Namen und Anschriften von tatsächlichen und vermeintlichen Sexualstraftätern. Diverse Personen mussten unter Polizeischutz gestellt werden, ein Mann wurde bei einem Angriff schwer verletzt, weil er verletzungsbedingt eine medizinische Halskrause trug, wie sie auch einer der Abgebildeten auf dem Foto trug. Das Haus einer Kinderärztin wurde von einem aufgebrachten Mob zerstört, weil die Zeitung ihre Anschrift veröffentlichte hatte, wohl weil man in der Redaktion den Unterschied zwischen Paedophile und Paediatric (Kinderarzt) nicht kannte. Die Zeitung machte kaum einen Hehl daraus, dass die Angriffe auf Unbeteiligte ein gewollter Effekt der Kampagne waren: So sollte Druck auf die Regierung ausgeübt werden, das geforderte Gesetz zu erlassen.
Das Ende der Zeitung ergab sich aber aus einer Affäre, die bereits seit einigen Jahren andauert, und als Phone-Hacking-Scandal bekannt wurde. Im Jahre 2005 veröffentlichte die Zeitung einige Berichte über eine angebliche Knieverletzung Prinz Williams, über die aus dem Buckingham Palace noch nichts berichtet worden war. Im August 2006 wurde der Hofberichterstatter der News of the World, Clive Goodman, unter dem Verdacht verhaftet, illegal Telefongespräche der Mitglieder des Königshauses abgehört zu haben. Bei der Gerichtsverhandlung im November bekannten sich Goodman und sein Mitangeklagter, der Privatdetektiv Glenn Mulcaire, schuldig im Sinne der Anklage. Der Chefredakteur der News of the World, Andy Coulson, wird mit der Aussage zitiert:
I have put in place measures to ensure that they will not be repeated.
Im Januar 2007 wurden Goodman und Mulcaire zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Coulson trat von seinem Amt als Chefredakteur zurück.
Im Juli 2010 veröffentlichte der Guardian eine Coverstory, laut der die News of the World unter der Leitung von Andy Coulson die Zugangsdaten von Voicemailboxen und E-Mail-Konten von mehr als 3000 Prominenten aus Showbusiness und Politik gesammelt haben sollen. Die vom Guardian veröffentlichte Liste enthielt unter anderem die Namen des damaligen Vize-Premierministers Lord Prescott und des Bürgermeisters von London, Boris Johnson. Die Anschuldigungen wurden von Scotland Yard bestätigt.
Im Laufe der Ermittlungen wurden die Aussagen Andy Coulsons, der inzwischen Pressesprecher des Premierministers David Cameron war, er habe von den Abhöraktionen nichts gewusst, immer zweifelhafter. Am 21. Januar schließlich trat Coulson von seinem Amt als Pressesprecher zurück.
Am 7. Juni 2011 wurde einer der Betroffenen, der britischen Schauspielerin Sienna Miller von einem Gericht in einem Vergleich ein Schadenersatz von £100.000 zugesprochen. Sie ist die erste der Betroffenen, die einen Schadenersatz von der Zeitung erhalten hat. In den folgenden Wochen folgen mehrere weitere Prominente, die einen Schadenersatz zugesprochen bekommen.
Im Laufe des Juni kam es zu mehreren weiteren Festnahmen bezüglich des Skandals, als, wiederum der Guardian, am 4. Juli 2011 die die Bombe platzen ließ: Die News of the World hatte sich im Jahre 2002 die Zugangsdaten zum Mobiltelefon des 13-jährigen Entführungsopfers Milly Dowler verschafft. Dowler war am 21. März 2002 auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Die Polizei ging von Beginn an von einem Gewaltverbrechen aus. Tatsächlich war Dowler entführt, sexuell missbraucht und anschließend getötet worden. In der Zwischenzeit hatte die Redaktion der News of the World sich Zugang zur Voicemailbox von Milly verschafft, und dort nicht nur Nachrichten abgehört. sondern auch regelmäßig Nachrichten gelöscht, wenn die Box voll war. Dies nährte sowohl bei Millys Eltern, als auch bei der Polizei, die Hoffnung, dass Milly noch am Leben sein könnte. Erst als am 18. September ihre Leiche entdeckt wurde, bestätigten sich die Befürchtungen.
Gestern wurden Clive Goodman und Andy Coulson, sowie ein weiterer, nicht näher genannter Mann, wegen dieser Sache verhaftet.
Wegen des enormen Drucks hat man sich bei News International nun entschieden, die News of the World sterben zu lassen.
Pressefreiheit ist ein enorm hohes Gut, und sie muss von Politik und Gesellschaft geschützt und behütet werden. Aber auch die Journalisten selbst tragen eine Verantwortung: Die Pressefreiheit nicht zu missbrauchen, um aus dem Leben und Leiden anderer ein Geschäft zu machen. Ein Missbrauch dieser Freiheit von so ungeheuerlichem Ausmaß, wie die News of the World ihn hier gezeigt hat, schadet der Pressefreiheit ebenso viel wie jeder Diktator es könnte. Es bleibt die Hoffnung, dass wir alle unsere Lehren ziehen. Der Boulevardjournalismus, der lernen muss Grenzen einzuhalten, und dass nicht alles was man erfährt auch eine Nachricht ist. Aber auch wir, die Leser, sollten in uns gehen. Sind wir es doch, die -das darf nicht vergessen werden- Zeitungen wie der News of the World ihr Trieiben überhaupt erst ermöglichen, sind wir es doch, die nach Geschichten über Stars und Sternchen, über tragische Schicksale und über das Sterben der Menschen gieren. Das sind wir den Eltern von Milly Dowler schuldig; und uns selbst.
P.S.: …und wir haben immer noch kein anständiges Wahlrecht